Lebensmittel sind ein äußerst starker politischer Faktor – nicht nur als Mittel zum Überleben, sondern auch als Werkzeug für soziale Veränderungen, politische Organisation und Widerstand. Nachfolgend finden Sie einige politische Potenziale im Zusammenhang mit Lebensmitteln.
Gesellschaftlich-politisches Potenzial von Lebensmitteln 1: Lebensmittel als Form des Widerstands und der Autonomie
Beispiel: Urbane Gärten in ärmeren Stadtteilen oder auf verlassenen städtischen Flächen
Politische Bedeutung: Aufbau von Unabhängigkeit von Ernährungssystemen, die auf Ausbeutung, Zentralisierung und Gewinn basieren.
Botschaft: »Qualitativ hochwertige und gesunde Lebensmittel sind ein Recht, kein Privileg.«
Gesellschaftlich-politisches Potenzial von Lebensmitteln 2: Lebensmittel als Werkzeug der gemeinschaftlichen Vernetzung
Beispiel: Projekte für Gemeinschaftsküchen, Solidaritätsgenossenschaften, SoLaWi-Modelle (Community Supported Agriculture).
Politische Bedeutung: Stärkung demokratischer Praktiken, Solidarität und Zusammenarbeit in lokalen Gemeinschaften.
Botschaft: »Gemeinsam können wir für unsere Bedürfnisse sorgen – am Markt und Staat vorbei.«
Gesellschaftlich-politisches Potenzial von Lebensmitteln 3: Lebensmittel als Mittel zur Bekämpfung von Ungleichheiten
Beispiel: Bewegungen für Ernährungsgerechtigkeit (Food Justice), die Diskriminierung beim Zugang zu gesunden und hochwertigen Lebensmitteln thematisieren
Politische Bedeutung: Aufdeckung systemischer Ungleichheiten – wer hat Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln, wer nicht.
Botschaft: »Lebensmittel decken Klassen-, Rassen- und Geschlechterungleichheiten auf.«
Gesellschaftlich-politisches Potenzial von Lebensmitteln 4: Lebensmittel als Kritik am agroindustriellen System
Beispiel: Proteste gegen Pestizide, gentechnisch veränderte Organismen (GVO), große Lebensmittelkonzerne.
Politische Bedeutung: Druck auf Regulierungen, Unterstützung für Kleinbauern, Forderungen nach Transparenz.
Botschaft: »Wir wollen nicht nur Konsumenten sein – wir fordern ein gerechtes Ernährungssystem.«
Gesellschaftlich-politisches Potenzial von Lebensmitteln 5: Lebensmittel als Teil der Ökologie- und Klimapolitik
Beispiel: Übergang zu lokaler, saisonaler, pflanzlicher Ernährung; Agrarökologie.
Politische Bedeutung: Lebensmittel als Schlüsselelement der Klimagerechtigkeit, der Emissionsreduzierung und des Erhalts der biologischen Vielfalt.
Botschaft: »Was wir essen, beeinflusst die Zukunft des Planeten.«
Gesellschaftlich-politisches Potenzial von Lebensmitteln 6: Lebensmittel als Teil der staatlichen Souveränität
Beispiel: Staaten des globalen Südens, die sich um Ernährungssouveränität bemühen (z. B. die Bewegung La Via Campesina).
Politische Bedeutung: Widerstand gegen globale Lebensmittelkonzerne, den Internationalen Währungsfonds und die Abhängigkeit vom Import.
Botschaft: »Nationen haben das Recht, selbst über ihre Lebensmittel zu entscheiden.«
Beispiel La Via Campesina:
La Via Campesina – internationale Bewegung von Kleinbauern
La Via Campesina (spanisch: Der Bauernweg) ist die größte globale Bewegung von Bauern, Bäuerinnen, Plantagenarbeitern, Fischern, indigenen Völkern und ländlichen Gemeinschaften, die für Ernährungssouveränität, Landrechte und eine gerechte Agrarpolitik kämpfen.
Hauptziele:
Ernährungssouveränität – das Recht der Völker, selbst über die Ernährungspolitik zu entscheiden.
Zugang zu Land, Saatgut, Wasser – Kampf gegen die Konzentration von Land und die Privatisierung natürlicher Ressourcen.
Unterstützung von Kleinbauern und Agrarökologie – eine Alternative zur industriellen Landwirtschaft.
Widerstand gegen Neoliberalismus und globale Agrar- und Lebensmittelkonzerne.
Solidarität und Gerechtigkeit – einschließlich des Kampfes gegen Patriarchat, Kolonialismus und kapitalistische Ausbeutung.
Schlüsselkonzept: Ernährungssouveränität
Diesen Begriff haben sie selbst geprägt. Es bedeutet nicht nur Zugang zu Lebensmitteln, sondern das Recht von Menschen und Gemeinschaften, selbst zu entscheiden, was sie produzieren, wie, für wen und nach welchen Regeln.
Arbeitsweisen:
Internationale politische Mobilisierung
Direkte Aktionen (Proteste, Kampagnen für Saatgut, Landbefreiung).
Aufbau eigener alternativer Systeme: Märkte, Bauernschulen, Wissensaustausch.
Warum ist das wichtig?
Weil La Via Campesina den globalen Süden und Norden im Kampf für eine gerechtere Welt verbindet.
Weil sie klar sagt: Kleinbauern sind nicht das Problem, sondern ein wichtiger Teil der Lösung für die Ernährungs-, Umwelt- und soziale Krise.
Parallel dazu findet in Burkina Faso derzeit eine umfassende Agrarreform statt, die wichtige politische, soziale und wirtschaftliche Folgen hat.
Agrarreform in Burkina Faso (2025)
Im Februar 2025 verabschiedete die Regierung von Burkina Faso ein Gesetz, das alle Ländereien im Land verstaatlicht. Nach dem neuen Gesetz wurde der Staat zum alleinigen Eigentümer von Grundstücken, was bedeutet, dass Einzelpersonen und Unternehmen kein Privateigentum mehr an Grund und Boden haben können. Stattdessen werden langfristige Pachtverträge eingeführt, die den Landwirten und Gemeinden mehr Sicherheit bieten sollen.
Die Reform erkennt auch die traditionellen Rechte der ländlichen Gemeinden an, wodurch versucht wird, moderne Gesetze mit traditionellen Praktiken der Landverwaltung in Einklang zu bringen. Ziel der Reform ist es, Spekulationen mit Grundstücken zu reduzieren, die Ernährungssouveränität zu stärken und eine gerechtere Verteilung der Ressourcen zu gewährleisten.
Darüber hinaus hat die Regierung ein Verbot des Besitzes von ländlichen Grundstücken durch Ausländer erlassen, was bedeutet, dass Ausländer Grundstücke nur pachten, aber nicht kaufen können.
„Agricole“ im Kontext von Burkina Faso
„Agricole“ bezieht sich im Kontext des frankophonen Afrikas üblicherweise auf „Grundstücke“ oder „landwirtschaftliche Flächen“, kann aber auch ländliches Gebiet oder den Agrarsektor im Allgemeinen bedeuten.
In Burkina Faso wird der Begriff „agricole“ häufig in folgenden Bedeutungen verwendet:
Espace agricole – landwirtschaftliche Flächen
→ Flächen, die für die Produktion von Lebensmitteln oder die Aufzucht von Tieren bestimmt sind, oft unter traditioneller oder kollektiver Verwaltung.
Aménagement agricole – landwirtschaftliche Ordnung oder Reform
→ Im Zusammenhang mit der systemischen Planung der Nutzung ländlicher Flächen (z. B. zur Bekämpfung von Erosion, Bewässerung usw.).
Zone agricole protégée (ZAP) – geschützte landwirtschaftliche Gebiete
→ Regionen, die vom Staat vor Urbanisierung und Grundstücksspekulationen geschützt werden, um die Ernährungssicherheit zu erhalten.
Économie agricole – landwirtschaftliche Wirtschaft
→ Ein einzelner Bauernhof oder eine landwirtschaftliche Einheit, sei es familiär, gemeinschaftlich oder kommerziell.
Die Rolle von „terre agricole“ in der neuen Agrarreform in Burkina Faso (2025):
„Terres agricoles“ (landwirtschaftliche Flächen) werden zu einem öffentlichen Gut im Besitz des Staates, da Landwirte und Gemeinden diese Flächen mit langfristigen Pachtverträgen nutzen können. Ziel ist es, die Flächen vor Privatisierung zu schützen, den Zugang für Kleinbauern zu erhalten und die Ernährungssouveränität zu stärken.
Es gibt einige potenzielle Vorteile für die Einwohner von Burkina Faso, die sind:
- Schutz vor Grundstücksspekulation
Wenn Grundstücke ein öffentliches Gut bleiben, können sie nicht massenhaft an ausländische Investoren oder Eliten verkauft werden, was Kleinbauern vor der Verdrängung durch Immobilienprojekte schützt.
- Stärkung der Ernährungssouveränität
Mit Grundstücken, die im Besitz der lokalen Bevölkerung bleiben (durch Pacht), ist es einfacher, die lokale Lebensmittelproduktion zu fördern und die Abhängigkeit vom Import zu verringern.
- Berücksichtigung traditioneller Rechte
Wenn die Reform traditionelle (kollektive, dörfliche) Grundstücke anerkennt, bedeutet dies mehr Rechtssicherheit für ländliche Gemeinden.
- Mehr Gleichheit beim Zugang zu Land
Die Nationalisierung von Grundstücken kann verhindern, dass eine Handvoll Reicher eine Schlüsselressource (Land) kontrolliert, was einen sozial gerechten Effekt hat.
Projekt-Kofinanzierer:
Für die in diesem Dokument dargestellten Meinungen sind ausschließlich die Autoren des Dokuments verantwortlich und spiegeln nicht unbedingt die Ansichten des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energie oder des Öko-Fonds j.s wider.